Wir leben in einer Zeit, in der die Atheisten sich so stark in die Enge gedrängt fühlen, dass sie nur noch in der Zensur einen Ausweg sehen. Da sie sowohl über die Herrschaft über das öffentliche Bildungssystem als auch über die Medien haben, geschieht die Zensur inzwischen schamlos.
Schaut man in die Geschichte zurück, wird man sich daran erinnern, dass diese Rollenverteilung auch mal genau andersherum gewesen war. Die Kirchengläubigen fühlten sich in der Renaissance ebenso gezwungen, zum harten Mittel der Zensur zu greifen, da sie keine andere Möglichkeit sahen, um sich gegen das bedrohende Aufkommen der naturwissenschaftlichen Ideen zu wehren. Was ist es aber, dass jemanden dazu zwingt, die Redefreiheit des Anderen zu unterdrücken? Letztendlich geht es immer darum, dass man fürchtet, die Kraft der eigenen Argumente sei nicht stark genug, um sich in der öffentlichen Meinung zu bewahren: man verbietet dem Anderen dann das Wort, wenn man sich selbst in einer Diskussion auf der verlierenden Seite einordnet. Wie passiert einem das? Wie kommt man auf die Verliererseite, obwohl man vorher auf der Gewinnerseite gewesen war, oder umgekehrt? Von der Fähigkeit, überzeugende Sätze zu formulieren, - die beide Seiten gleichmäßig beherrschen -, mal abgesehen… was letztendlich den Gewinner einer Diskussion ausmacht, ist die Beweiskraft, die seine Worte begleitet; oder eben die Macht, die Diskussion ganz abzubrechen. Dabei ist aber alles entscheidend, was nun allgemein als Beweis anerkannt wird. Es ist allgemein bekannt, warum die Kirche sich einst nur mit Gewalt gegen die neu aufkommende Naturwissenschaft verteidigen konnte: die Naturwissenschaft tätigte ihren Angriff auf das damals bestehende Machtsystem mit einer ganz neuen Form von Beweisen, die zuvor unbekannt waren: der physische Sinneseindruck, dem man zuvor keine sonderlich hohe wissenschaftliche Wertigkeit beigemessen hatte, wurde im Rahmen des “Experimentes” zum absoluten Richter über die Wahrhaftigkeit einer Aussage erhoben. Selbstverständlich nahmen auch schon früher die Menschen die Welt mit ihren physischen Sinnen war, nur hielt man nicht sehr viel von der Beweiskraft der Sinneseindrücke, weil man ihnen nur einen Scheinwert anerkannte. Traditionelle Überlieferung und logisches Denken galten als Beweise viel mehr als der reine Sinneseindruck. Wie konnte es also der Kirche damals passieren, dass ihre über Jahrhunderte währende Dominanz im Feld der Beweisführung durch die Naturwissenschaft in Frage gestellt werden konnte? Das Problem der Kirche, und der mit ihr verbundenen traditionellen Wissenschaft, lag hierin begründet, dass ein großer Teil ihrer Beweisführungen auf Behauptungen fusste, die man in den Bereich des Unsichtbaren einordnen muss. Das galt sowohl für den Großteil der Theologie, als auch für eine Wissenschaft, die sich nach mehr als 1500 Jahren immer noch auf alte Autoritäten wie Aristoteles berief. Das einzig Sichtbare an beiden Beweisen waren die Bücher, sowie das soziale Umfeld, in denen sich das gesamte Kulturleben abspielte. Man musste bei der Beweisführung also immer wieder darauf pochen: Wenn Menschen diese Bücher schon so lange lesen, dann müssen sie wahr sein! Und wenn es all diese Kirchen und Universitäten gibt, mit all ihren ehrenwerten menschlichen Vertretern, dann muss die Tradition, auf die sich all dies stützt, ebenso wahr sein! Mehr war an Beweiskraft tatsächlich nicht gegeben - denn die Fähigkeit, alles schön logisch zu verbinden, fand man ja auf beiden Seiten. Was hatten die Theoretiker der Naturwissenschaft also getan, um einer so gewöhnlichen Erfahrung, wie jener des physischen Sinneseindrucks, zu jener siegreichen Beweiskraft zu verhelfen? Der Irrtum - oder Trick, egal wie man es sehen möchte -, der aufsteigenden Naturwissenschaft lag darin verborgen, dass man - ohne jegliche wissenschaftliche Basis - behauptete, der Mensch sei in seiner Konstitution schon immer so gewesen wie jetzt. Je mehr nun andere Arten von Sinneserfahrungen, als es die rein physischen sind, der Menschheit verloren gingen, desto leichter konnte man sie davon überzeugen. Um jedoch die sofortige Strafe und Zensur von Seiten der übermächtige Kirche zu vermeiden, hielt man noch viele Jahrhunderte lang eine diplomatische Sonderposition für die biblischen Überlieferungen und für die Traditionen der Kirchenväter aufrecht. Um sich selbst einen relativ sicheren Freiraum zu schaffen, erfand man eine Wissensgrenze zwischen Wissenschaft und Glauben. Allerdings akzeptierte die Kirche selbst diese Trennlinie erst, nachdem sie erfolglos alles getan hat, um das Aufkommen des naturwissenschaftlichen Denkens vollständig zu unterdrücken. Das Problem, dass die Kirche in allen damaligen Diskussionen hatte, insofern sie solche zuließ, war folgendes: Ihre Argumente stützen sich in allen Bereichen auf übersinnliche Erfahrungen, zu denen jetzt niemand mehr fähig war. Sie konnten infolgedessen nur darauf bestehen, das Überlieferte immer treu bewahrt zu haben, und nie etwas an der Originalwahrheit verändert zu haben - zumindest ohne sich dabei auf die höchstmöglichen Autoritäten gestützt zu haben, welche selbst von Gott geleitet wurden und werden. Die offensichtliche Schwäche von Argumenten, die sich vielfach nur auf überlieferte, uralte, übersinnliche Erfahrungen stützten, nutzen ihre Gegner doppelt aus: erstens zweifelte man immer mehr daran, dass solche vermeintlich übersinnlichen Erfahrungen überhaupt jemals irgendeinen Wahrheitswert gehabt hätten… zweitens wies man darauf hin, wie schwer es doch sei, über Jahrhunderte hinweg, inmitten der Wirrnisse von Übersetzungen und Fehlern beim Abschreiben, sowie unter dem Einfluss allerlei menschlicher Egoismen, etwas tatsächlich treu zu bewahren - zumal dann, wenn dessen Wahrheit schon seit langen niemand mehr selbst nachprüfen kann. Gleichzeitig verwiesen die damaligen Gegner der konservativen Kultur dabei auf den Vorteil der physischen Sinneseindrücke, die ja allen Menschen gleich zugänglich seien, und die man mit Hilfe neuer Technologien und der naturwissenschaftlichen Methode des Experiments zu ungeahnt wertvollen Erkenntnisinstrumenten ausbauen könne. Es dauert allerdings noch einige Jahrhunderte, bis sich die Naturwissenschaft auch an die höchste Autorität der Kirche, Gott selbst, hintraute. Aber letztendlich war auch hier das Argument dasselbe wie in jeder anderen Diskussion zuvor: Wenn keiner diesen Gott sehen kann, dann gibt es ihn nicht! Es ist nun dieses Argument nur scheinbar stark - in Wahrheit ist es sehr, sehr schwach! Aber es genügte trotzdem, um die traditionelle Kirche in den Köpfen der allermeisten, sogenannten hoch-gebildeten Menschen zu besiegen. Der einzige Grund, warum es die Kirche, in ihrer alten Form, überhaupt heute noch als Organisation gibt, ist der Umstand, dass man außerhalb Europas immer noch auf große Mengen noch nicht ganz intellektuell-erkalteter Menschen zurückgreifen kann, welche die Glaubensinhalte mit ihrem Gefühlsleben erfassen wollen und können. Hinzu kommt da, auch innerhalb Europas, die noch relativ große Menge jener, welche sich weiterhin mit der alten Idee einer Wissensgrenze zufrieden geben: vor allem deshalb, weil sie allgemein sowieso so nicht gerne tiefgründig nachdenken. Es handelt sich hierbei also um all jene, die Glauben und Wissenschaft voneinander trennen können, ohne damit seelische Probleme zu haben. Diese zweite Gruppe wird allerdings rapide kleiner! - jedoch nur in ganz selten Fällen, weil man sich doch zu einem ernsthafteren Denken durchgerungen hat; meistens ist es nur so, dass die ins Jenseits des Verstandes verbannte Religion in einem Umfeld, in dem nur noch materielle Werte gelten dürfen, einfach immer mehr zur Bedeutungslosigkeit erblasst. Dominant ist heutzutage in der europäischen Gesellschaft also jene Denkweise, welche nur das als wirklich anerkennen will, was man mit den physischen Sinnen erfassen kann. Ein Außerirdischer, der hiervon liest, könnte sich also jetzt vorstellen, dass deshalb die heutige Menschheit ihre Beobachtungsgabe mittels der physischen Sinne in ganz ungeheuer hohem Maße ausgebildet haben müsse! Wer hingegen hier auf der Erde ansässig ist, weiß, dass dies keinesfalls der Fall ist: man hat hingegen den Großteil seiner Sinneswahrnehmungen einem Gerät anvertraut, das Fernseher heisst. Und man hat das eigene, vernunftbasierte, Nachdenken über das Wahrgenommene, sogar jenseits des Fernsehers, jenen überlassen, die man Experten nennt. Statt es also mit einer Menschheit zu tun zu haben, die Naturwissenschaftlichkeit zu ihrem persönlichen Lebensinhalt gemacht hat, sieht man sich umgeben von den ganz selben Verhaltensweisen, die schon im Mittelalter vorherrschten: man ist autoritätsgläubig, denkmüde und als Folge dessen: ängstlich. Die Herrschaftsklasse, welche sich innerhalb dieser modernen Verhältnisse entwickelt hat, ist jedoch nur im mittleren Bereich neu. Ganz oben sitzen dieselben wir zuvor. Doch müssen die Argumentsreihen jetzt anders geführt werden als früher: was früher der Gott im Himmel war, ist jetzt die Wissenschaft - allerdings als Dogma. Die eigentlich Dynamik der Naturwissenschaft, als Instrument der Wahrheitsfindung, wird mit allen Mitteln unterdrückt; denn eine freie Naturwissenschaft, egal wie materialistisch sie orientiert sein mag, könnte trotzdem nirgendwo anders hinleiten, als eben zur Wahrheit. Die richtig verstandene physische Sinneserfahrung kann nämlich niemals in einem echten Widerspruch zur Wahrheit stehen! Dass es zu einem solchen richtigen Verständnis aber niemals komme, dafür sorgen die althergebrachten Autoritäten mit großer Voraussicht und Strenge. Es wiederholt sich hierbei allerdings das alte Problem: was die neuen Autoritäten an Theorien behaupten, kann sehr oft ebenso niemand sehen, wie früher die Glaubensinhalte der Kirche. Wer also tatsächlich der naturwissenschaftlichen Methode folgen will, der muss sich allzu bald in einem unangenehmen Widerspruch zu den in Schulen, Universitäten und im Fernsehen predigenden Experten-Göttern wiederfinden. Selbst der neue Gott, die Materie, ist ja genauso unsichtbar, wie der alte Vatergott im Himmel: man kann zwar überall auf materielle Gegenstände hinweisen…aber auf die Materie selbst leider nicht! Was früher angeblich im unendlich Großen verborgen war, ist jetzt angeblich im unendlich Kleinen versteckt. Manche hoffen sogar heimlich darauf, den großen, allmächtigen Vatergott, dessen Vorstellung einem früher, nicht immer, aber doch des öfteren, ein beruhigendes Lebensgefühl vermitteln konnte, jetzt im Kleinen zu finden: als Quark im Teilchenbeschleuniger. Die siegreiche Phase der Naturwissenschaft ist also schon lange vorüber! - und man ist jetzt bereits mitten in der Endphase der neuen, unheiligen Inquisition. Die etwas Intelligenteren spüren hierbei allzu deutlich, dass ihnen die überzeugenden Argumente in allen Wissensbereichen, die sich ausschließlich auf die Naturwissenschaft stützen, auszugehen drohen, - und natürlich ganz besonders dort, wo gar keine echte Naturwissenschaft praktiziert wird! Man ist also wieder mal voll im Vollzugszwang der Zensur: keine der Meinungen, die der offiziellen Version der Wahrheit widersprechen, dürfen im öffentlichen Diskurs zugelassen werden - weil man weiss: man würde verlieren! Besonders genau weiss man das vor allem dann, wenn man sich voll bewusst ist, gelogen zu haben.
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Hürde Nummer 1
Die erste, und vielleicht größte, Hürde ist der Mangel einer Hürde. Das größte Problem des Denkens ist sein Nicht-Vorhandensein. Ohne eigenes Denken kann keine existentiell erlebte Frage entstehen, und ohne eine Frage, die einen selbst betrifft, gibt es auch keine Hürde, die sich dem normalen Lebensgefühl in den Weg stellen würde. Ohne Hürde entsteht kein Bedürfnis, den aktuellen Zustand zu verändern. Wenn also kein Eigendenken eine solche Hürde produziert, dann muss die Hürde von Außen als Leid dem Leben des Einzelnen hinzugefügt werden. Solange der Mensch aber nicht selbst denkt, ist er gar kein Einzelner, sondern ein Gruppenwesen. Als solches erlebt er dann jegliches Leid als Gruppenschicksal, für das er sich nicht selbst verantwortlich fühlt. Das von außen hinzugefügte Leid kann also seinen Zustand nicht ohne weiteres ändern. Was zum Leid hinzukommen muss, ist wiederum das Denken. Allerdings kann das Denken unter dem Leidensdruck leichter aktiviert werden. Der persönlich erlebte Schmerz steigert den Egoismus, und der Egoismus steigert das Gefühl, ein Einzelwesen zu sein. Wenn der Mensch beginnt, wie ein Einzelwesen zu denken, steigt die Wahrscheinlichkeit, dass sich in ihm eine existenzielle Frage heranforme. Erst durch das existenzielle Erleben einer Frage wird er nämlich zum individuellen Sucher nach einer Antwort. Er bemerkt: die unbeantwortete Frage wird ihm zur persönlichen Hürde. Andere haben diese Hürde nicht - für ihn selbst ist sie existenziell wichtig. Sogar die Selbstüberschätzung und die Überschätzung der vermeintlichen Einzigartigkeit der eigenen Fragestellung sind in dieser primordialen Lebenslage außerordentlich hilfreich, weil sie dabei helfen, die erste Hürde heranreifen zu lassen. Sobald der allgemeine Leidensdruck persönlich erlebt wird, kann er vom eigenen Denken verarbeitet werden. Damit beginnt aber erst das selbstständige Denken. Ohne selbstständiges Denken gibt es keine wirklichen Fragen. Und ohne Fragen, die man als solche erlebt, welche die eigene Wirklichkeit beeinflussen können, kann man auch unmöglich an neuen Antworten interessiert sein. Man ist eingeschlossen in das Gegebene, und man gedeiht und verdirbt zusammen mit ihm, als Gruppenwesen, ohne jeglichen Anspruch auf Individualität. In dieser Entwicklungsphase des Menschen kann demnach die Anthroposophie niemals in ihrer eigentlichen Form auftreten. Sie kann den Menschen liebevoll pflegen und schützen, aber sie kann ihm kein Wissen geben - genauso wie man einen satten Menschen nicht zum Essen einladen kann. Die 1. Hürde ist also das Leben ohne eigenständiges Nachdenken. Hürde Nummer 2 Die Hürde Nummer 2 ist die erste wahrnehmbare Hürde: denn Hürde Nummer 1 war ja das Fehlen jeglicher Hürde. Die erste, individuell erlebte, Hürde ist somit der Gegensatz zwischen der allgemein vorherrschenden Meinung und der eigenen Meinung. Die als allgemein anerkannt erlebte Meinung, der man sich nun als Person entgegenstellen will, ist nichts anderes, als das zuvor passiv, als Gruppenwesen erlebte, Fremddenken. Jenes Fremddenken stört einen jetzt, weil man entdeckt hat, auch selbst denken zu können. Ausschlaggebend ist bei dem Übergang vom Fremddenken zum ersten Selbstdenken immer das Leid. Man hat bemerkt, wie das Fremddenken einem Leid zufügt, und man will sich jetzt mit Eigendenken dagegen wehren. Man glaubt, selbst besser wissen zu können, was gut für einen selbst ist, weil man an dem Fremddenken zuvor so stark gelitten hat. Der Impuls zum Selbstdenken kommt demnach direkt aus einem verletzten Egoismus. Diese reaktionäre Eigenschaft behält der Impuls aber auch dann bei, wenn das primordiale Problem bereits gelöst ist. Der Individualismus bleibt also noch lange nach seiner Entfesselung mit seinem egoistischen Ursprung verbunden. Das neu eroberte Selbstgefühl wird weiterhin identifiziert mit der Gegnerschaft zu jedem Fremddenken. Der Mensch will jetzt unbedingt alles durch Eigendenken erkunden. Jegliches Fremddenken ist ihm suspekt. Er vermutet hinter jedem Fremddenken einen Angriff auf seine individuelle Freiheit. Das wird ganz besonders extrem, wenn sich das Fremddenken auf Erfahrungen bezieht, die er selbst nicht haben kann. Die traditionelle Religion wird darum als erste Opfer seiner Kritik. Das religiöse Fremddenken erscheint ihm nunmehr als vollständig unakzeptabel. Hingegen kann er sich mit anderem Fremddenken schon eher anfreunden, nämlich wenn er dahinter eine objektive Wirklichkeit vermutet. Dazu gehört in erster Linie das naturwissenschaftliche Denken. Was ihn hierbei antreibt, ist seine Sehnsucht nach dem vorigen Zustand der Gedankenlosigkeit. Er hofft inbrünstig, es könne eine objektive Wirklichkeit geben, welche den schmerzhaften Kontrast zwischen allgemeiner Meinung und individueller Meinung neutralisiere. Er sucht also seine Rettung im theoretischen Denken, mit dem er letztendlich nur seine eigene Einsamkeit überwinden will. Es gelingt ihm auf diese Weise tatsächlich, nahezu den vorigen, naiven Zustand wiederherzustellen. Indem er es sich im wissenschaftlichen Konsens genauso gemütlich einrichtet, wie zuvor in der totalen Gedankenlosigkeit, wird ihm seine moderne Welt schon fast wieder zur vermissten Kinderwelt. Er neutralisiert sein Eigendenken, indem er ihm jeglichen Anspruch auf Wirklichkeit abspricht. Die Wirklichkeit lokalisiert er außerhalb seines Denkens - sein Denken selbst wird ihm zum Schatten. Das Einzige, was ihm in seiner neuen Gemütlichkeit abgeht, ist das Leben selbst: es scheint ihm, als habe er das echte Leben irgendwo auf seinem Weg verloren. Er spürt aber, dass er es sofort wiederfinden könnte, falls er nur sein Eigendenken aufgäbe - falls er sich also wieder ganz, wie früher, dem unreflektiertem Gefühls- und Willensleben hingäbe. Die 2. Hürde wird ihm demnach zum vermeintlichen Widerspruch zwischen Denken und Leben. Die Anthroposophie kann hier nicht anders eingreifen, als ihm die wahre Identität von Leben und Denken von allen möglichen Seiten nahe zu bringen. Alles Wirken der Anthroposophie zielt letztendlich daraufhin ab, diese Identität vollständig zu verwirklichen. In dieser frühen Phase geht es zwar zunächst nur um die gefühls - und verstandesmäßige Verarbeitung einer monistischen Weltanschauung, doch schon das ist sehr schwer genug zu verdauen. Hürde Nummer 3 Während die also die 1. Hürde darin besteht, dass der Mensch all seine Nöte nicht anders erlebt als ein intelligentes Tier, besteht die 2. Hürde aus dem, was man die Intellektualität nennt. Aus dem Zustand der Intellektualität aber entstehen gleichzeitig 2 neue Hürden: die Hürde 3 und die Hürde 4. Was wir als 2. Hürde beschrieben haben, schwelt als Problem zwar stets im Untergrund dieser beiden, aber es dringt ins Bewusstsein erst als seine Lösungsversuche ein - wobei Hürde 3 der eine Lösungsversuch ist, und Hürde 4 der diametral gegenüberliegende. Der Kampf mit der Anthroposophie wird hierbei zum ersten Mal bewusst erlebt, weil man mit seinem Denken inzwischen soweit ist, dass man die Anthroposophie intellektuell verstehen könnte, wenn man nur nicht voller Vorurteile wäre. Die 3. Hürde ist die intellektuelle Arroganz. Weil man bemerkt hat, dass das Eigendenken sich gegenüber dem Fremddenken siegreich behaupten kann, will man jetzt schlechthin alles selbst denken. Dabei vergisst man jedoch das eigene Nicht-Können. Nur weil man endlich damit begonnen hat, selbst zu denken, darf man nicht etwa annehmen, dass man damit bereits alles Denken könne, was denkbar ist. Man hofft also, sich vom gehassten Fremddenken dadurch zu befreien, dass man nur noch das denkt, was man selbst nachdenken kann. Man glaubt sich in seinem Denken frei vom Fremddenken, nur weil man über nichts mehr nachdenken will, was das eigene Denken übertrifft. Dabei dehnt man jedoch nicht selten die Grenzen des eigenen Denkens weit über dessen Gültigkeitsbereich hinaus. Was man selbst denkt, hat dann zwar stets eine individuelle Färbung, hat aber leider mit der Wirklichkeit oft nichts mehr zu tun. Man verliert sich in Phantasien, und hofft heimlich darauf, dass diese Phantasien einst wahr werden könnten. Man redet sich ein, alles menschliche Denken sei so wie sein eigenes Denken. Wenn man dabei auf das Denken eines Anderen stößt, welches Anspruch auf Wahrheit erhebt, dann lehnt man dies kategorisch ab. Dass man mit seinem eigenen Denken keine Wahrheit erlangen könne, hat man sich womöglich bereits selbst bewiesen, aber man dehnt in arroganter Haltung diesen persönlichen Beweis gleichsam auf alle anderen Menschen aus. Die 3. Hürde besteht also darin, dass man glaubt, das eigene Denken setze die Maßstäbe für jegliche mögliche Form von Denken. Da die Anthroposophie sich als höheres Denken präsentieren muss, egal von welcher Richtung sie naht, eben weil sie höheres Denken ist, sträubt man sich in dieser Phase vehement gegen die Anthroposophie. Hürde Nummer 4 Noch schwerer als die 3. Hürde ist die 4. Hürde zu nehmen. Falls man sich nämlich endlich, mittels Leid, großer persönlicher Anstrengung und gnädigen Glücks, dazu durchgerungen hat, etwas anzuerkennen, das über einem selbst eingeordnet werden muss, - falls man somit erneut zu einer Demut gegenüber dem Göttlichen gefunden hat, nachdem man mehr oder weniger lange im hochmütigen Atheismus verloren gewesen war -, dann türmt sich vor einem das größte aller Hindernisse auf: das höhere Denken, dem man jetzt vertrauensvoll sein Herz und seinen Verstand geöffnet hat, verlangt von einem das Ungeheuerliche: es will letztendlich, dass man selbst sich zu solchem höheren Denken aufschwinge! Wer erst kurz zuvor die 3. Hürde hat nehmen muss, wo es darum ging, die eigene Arroganz zu überwinden, der schreckt vor solchen hochmütigen Ambitionen zunächst beschämt zurück. Wer hingegen die 3. Hürde forsch umgangen hat, weil er hoffte, trotzdem zum Geist finden zu können, ohne die Bedingung der Demut zu erfüllen, und somit direkt auf die 4. Hürde stösst, ohne die vorige Prüfung bestanden zu haben, der wird dadurch sogar noch schlimmer in die Irre geführt! Ein solches Umgehen der 3. Hürde ist deshalb möglich, weil beide Wege, - hin zur 3. und hin zur 4. Hürde -, sich als Folgeerscheinungen der 2. Hürde gleichzeitig eröffnen. Die Wahnvorstellung, ohne Demut zu höherem Wissen gelangen zu können, ist demnach der eine Aspekt der 4. Hürde, nämlich dann wenn man die 3. Hürde geschickt umschifft hat. Der andere Aspekt der 4. Hürde, wenn man die 3. Hürde regelrecht überwunden hat, ist hingegen der Mangel an kraftvollem Mut, den man benötigt, um an die eigene Würdigkeit als geistiges Wesen weiterhin glauben zu können. Der nach Höheren strebende Mensch riskiert hierbei erneut, in die alte, passive Rolle zurück zu rutschen, die er bereits als reines Naturwesen lange genug inne gehalten hatte. Der Mut, selbst zu wissen, erlöscht ihm allzu leicht, angesichts all der Herrlichkeit des höheren Wissen - dessen Wert er, Dank seiner ehrlichen Demut, jetzt besser erkennen kann als jemals zuvor. Es bleibt sein Problem also dasselbe, das er schon immer auf seinem Wege mit sich getragen hatte: er kann nicht glauben, selbst ein eigenständiges Wesen sein zu können: selbst ein Ich zu sein, scheint ihm unmöglich. Die Freiheit, die einem angeboten wird, kann man nicht annehmen: das ist die 4. Hürde. |